Kleine digitale Lagerfeuer sollen Flächenbrand werden

 

von Annett Hänel, Bloggerin bei Paradieslicht.
Vielen Dank an Annett und Euch viel Spass beim Lesen!

Sie ist ein Dauerbrenner. Die Frage der Digitalisierung von Schule begleitet die Gesellschaft schon seit 25 Jahren. So schätzt es Andree Hochbach ein. Er ist Honorar-Dozent für Strategisches Online-Marketing an der IUHB Internationalen Hochschule und einer der Teilnehmer an der von Franziska Baum initiierten Online-Veranstaltung zur Frage, wer Digitalisierung von Schule machen soll. Sehr lange wurde die Schul-Digitalisierung als Problembegutachtungs-Thema abgetan. Seit der Pandemie aber ist es zu einem Leuchtfeuer in der öffentlichen Diskussion geworden. Und nun muss endlich eine Lösungsfindung her. Nach Hochbach müsste eigentlich das gesamte Bildungssystem umgekrempelt werden, was natürlich nicht geht. Daher muss man sich auf das beschränken, was machbar ist. Digitale Bildung ist da ein Ansatz, bei dem die Hauptakteure Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrerinnen und Lehrer am stärksten betroffen sind.

Die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Thüringer Landtag Franziska Baum entfachte bereits seit Beginn der Legislaturperiode im Herbst 2019 mit dem Slogan „Schule braucht ein Update“ die Diskussion um die dringend notwendigen Veränderungen in Schule. In ihrem Bildungs Pop Up-Store in der Erfurter Innenstadt brachte sie seitdem schon viele Akteure zu unterschiedlichsten Schulthemen zusammen. Nun geht es pandemiebedingt im virtuellen Bildungs Pop-Up Store weiter. Franziska Baum möchte mit der Veranstaltung gezielt herausfinden, wer es denn nun machen muss – die digitale Bildung. Sie ist der festen Überzeugung, dass es nicht nur an der Technik, an Geräten und Plattformen liegt, dass es so schleppend vorangeht mit den digitalen Möglichkeiten im Unterricht. Deshalb versammelte sie Experten, Praktiker und Vordenker in einem Online-Meeting, um das mit ihnen zu besprechen.

Neben dem Digital-Schrittmacher Hochbach hat Baum Praktiker aus der Schule, IT-Facheute und eine Rechtsspezialistin eingeladen.

Tim Reukauf ist seit August 2019 Sprecher des Jungen tlv (Thüringer Lehrerverband) und damit als Lehrer und Verbandsmensch ganz nah an der täglichen Arbeit und den bürokratischen Herausforderungen dran. Uwe Sommermann vom Lehrerverband hat einen guten Überblick für die Belange der gesamten Lehrerschaft. Mit Matthias Buchwald und C. Werneburg sind zwei Lehrer aus einer staatlichen Schule und einer Schule eines Freien Trägers dabei. Dr. Nadin Staupendahl ist IT-Rechtlerin und bringt als Expertin auf dem Gebiet der IT-Rechtssicherheit die Herausforderungen rund um den Datenschutz in die Gesprächsrunde ein.

Einig ist sich die Runde rasch, dass es nicht allein um die Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer zum Thema Digitalisierung geht. Selbst wenn die Lehrerinnen und Lehrer an den vielen Weiterbildungsmöglichkeiten teilnehmen, Zusatz-Zertifikate erlangen, den Umgang mit Technik, Programmen und Tools erlernen, bleibt eines der höchsten Prioritäten bestehen: Pädagoginnen und Pädagogen müssen ihre Schülerinnen und Schüler erreichen – persönlich, empathisch, didaktisch.

Tim Reukauf von den Jungen Lehrern erläutert das sehr nachdrücklich. Selbst beim Wechselmodell erreiche er Lisa und Max nicht, zwei Kindernamen, die stellvertretend für alle Schülerinnen und Schüler stehen. Es braucht seiner Meinung nach vier Dinge, die unbedingt und schnell angepackt werden müssen.

Erstens den Ausbau des Netzes. Max und Lisa sitzen seit vier Monaten zu Hause und er konnte sie nicht erreichen, da sie nicht ans Internet angeschlossen sind. In diesen Fällen bleibt nur der Postweg, um die Aufgaben und den Stoff den Kindern zukommen zu lassen. Das ist aber nicht Schule im 21. Jahrhundert. Zweitens die Ausbildung. Digitale Schule muss ins Lehrerstudium. Und ganz wichtig ist die praktische Anwendung in der zweiten Phase der Lehrerausbildung. Drittens die Ausstattung. Genau wie der Schulatlas, müssen digitale Endgeräte für die Schülerinnen und Schüler zur Verfügung stehen. Warum kann man hier nicht auf private Endgeräte setzen? Die Geräte müssen datenschutzkonform mit den entsprechenden Programmen bespielt werden. Das hat vor allem mit den sensiblen Daten der Schülerinnen und Schüler zu tun. Das muss von staatlicher Seite sicher und sauber administriert werden. Und schließlich viertens die Ausgliederung der technischen Dienstleistung. Lehrerinnen und Lehrer sind keine IT-ler, kein Testpersonal und haben keine Kenntnisse über Verträge mit Providern und IT-Dienstleistern.

Dr. Nadin Staupendahl ergänzt hinsichtlich der Datenschutz-Thematik, dass es hier schön längst ein dezentral entwickeltes Datenschutzkonzept hätte geben müssen. Da geht es um Informations-, Aufbewahrungs- und Löschpflichten von Daten. Das könne man auf garkeinen Fall datenschutzrechtlich konform auf privaten Endgeräten verfolgen. Außerdem haftet in Ausübung seiner Tätigkeit der Staat. „Da muss es einheitliche Vorgaben geben. Ein ganz praktisches Beispiel ist die MS-Office Cloud 365. Die ist nicht datenschutzkonform. Der Hostserver steht in den USA und da haben auch Geheimdienste Zugriff. Wenn die Schülerinnen und Schüler von ihren Lehrkräften zu Webinaren eingeladen werden, bringen sie die Kinder in Gefahr, da es noch kein IP-Adressen-Schutzkonzept gibt“, führt Nadin Staupendahl rechtlich-nüchtern aus.

Uwe Sommermann bestätigt ergänzend: „Die strengen Datenschützer sollten nicht nur verbieten, sondern besser sagen, wie es geht. Zum Beispiel könnten die Länder eigene Rechenzentren für Schulen und Ausbildung betreiben.“ Hört sich doch eigentlich ganz einfach an und man fragt sich, warum solche Vorhaben nicht schön längst angeschoben sind.

Neben den materiellen Dingen gibt es noch immaterielle Anliegen wie beispielsweise das Thema Medienkompetenz zu bedenken. Und da steht das brandgefährliche Thema des Urheberrechts ganz oben auf der Liste. Am Ende des Tages sind es die Lehrerinnen und Lehrer, denen die Schuld in Sachen Urheber- und Datenschutzrechtsverletzungen zugeschoben wird. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind sich in dieser Sache einig: Datenschutz und Urheberrecht dürfen kein Bremsklotz in der digitalen Bildung sein. Die Schulcloud gehört in ein staatliches Rechenzentrum und nicht ins Thillm (Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien). Dort müssen die Kapazitäten für die Lehrerbildung bereitgehalten werden. Und die Politik müsse bei der Besetzung des obersten Datenschützers darauf achten, dass nicht nur verhindert und verboten, sondern eine lösungsorientierte Sichtweise gefördert wird.

Nach einer guten Stunde Diskussion, in der die Praktikerinnen und Praktiker ihre Sichtweisen aus den verschiedensten Perspektiven dargelegt haben, ist klar, dass Politik keine Zeit mehr verschwenden darf, um Schülerinnen und Schülern eine moderne digitale Schule zu ermöglichen.

Die erste Prämisse ist, dass der Digitalpakt nicht 2024 enden darf. Da die letzten 20 Jahre verschlafen wurden, muss nun endlich die Zeit für den digitalen Konzeptaufbau durch die Schulträger genutzt werden. Wünschenswert und sinnvoll ist dabei, dass die guten Erfahrungen wie beispielsweise die der Medienschule Meuselwitz einbezogen werden. Diese wertvollen jahrelangen Erkenntnisse müssen endlich gehört werden und eine Rolle spielen.

Der Investitionsstau in den Thüringer Schulen von 400 bis 500 Millionen Euro muss schleunigst behoben werden. Warum werden die ganzen Fördergelder nicht ausgegeben, Laptops für Lehrerinnen und Lehrer nicht angeschafft und die Kabel nicht schnellstmöglich verlegt, um die Schulen ans Netz zu bringen?

Es müssen sich Experten für Digitalisierung, IT-Administratoren und Datenschutz-Spezialisten in regelmäßigen Abstimmungsgremien zusammentun und ihre Expertise für ein schnelles Vorankommen einbringen.

Der Bildungskomplex muss in der Weise aufgebrochen werden, dass dem Wunsch nach einem zentralen Konzept einerseits entsprochen wird und dass dieses andererseits für die spezifischen Gegebenheiten vor Ort heruntergebrochen werden kann. Die Lehreraus- und Weiterbildung muss um die Themen Softwaretools, Medienethik, Cybermobbing, Urheberrecht von digitalen Quellen usw. ergänzt werden. Schülerinnen und Schüler können sehr viel auf ihren Smartphones. Was aber wirkliche Digitalisierung bedeutet, gehört ab sofort in den Lehrstoff der Schulen. ­­­Die FDP-Fraktion im Thüringer Landtag hat dazu bereits eine Initiative gestartet und kümmert sich darum, wie Digitales in die Lehrerausbildung integriert wird.

Denn genau da wird das Feuer für digitale Schule entzündet. Jede einzelne ausgebildete Lehrerin und jeder einzelne ausgebildete Lehrer kann das digitale Feuer in die Klassenzimmer zu Lisa und Max tragen und dort mit den Schülerinnen und Schülern ein kleines digitales Lagerfeuer schüren. Viral wird es dann zu einem digitalen Flächenbrand.