Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,
liebe Zuhörerinnen und Zuhörer an den Endgeräten, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zahlen, die Prof. Dr. Klemm für die Bertelsmann Stiftung hier aufführt, sind erschreckend. 8,3 Prozent derer, die im Jahr 2021 in Thüringen die Schule verlassen haben, haben dies ohne einen Hauptschulabschluss gemacht. Damit liegen wir in Thüringen deutlich über dem Bundesschnitt. Ich möchte es mal mit den Worten bezeichnen, die auch Prof. Dr. Klemm verwendet hat, nämlich: qualifikatorische Vergeudung.
Denn jeder Schulabbrecher ist ein Verlust für unsere Gesellschaft, weil ihm die Grundlage fehlt für die persönliche und auch die berufliche Weiterentwicklung.
Bildung ist die Grundlage für alles, ein Schulabschluss ist die Grundlage für alles und es ist die beste Sozialpolitik, die man machen kann.
Spannend im Vergleich der Zahlen – auch wenn uns die jetzt erschüttern mögen –, das sollte uns genauso nachdenklich stimmen, dass die im Zeitverlauf relativ stabil waren die letzten zehn Jahre. Das heißt, die Maßnahmen, die wir ergreifen, um die Schulabbrecherquote zu senken, greifen nicht.
Dann kann man natürlich anfangen und kann die Schuldigen für die Schulabbruchquote suchen oder für die mangelnde Digitalisierung oder für den Lehrermangel oder für die Lernrückstände oder, oder, oder – oder man kann die Zahlen einfach als weiteres Indiz dafür nehmen, was wir bereits wissen, nämlich, dass Schule ein Update braucht, und zwar ein richtiges Systemupdate, eigentlich schon ein Upgrade auf die nächste Version, das ist das, wo Sie besser den Rechner am Strom lassen, weil es länger dauert. Selbst Herr Minister Holter hat ja im Januar bei „Fakt ist!“ festgestellt, dass unser Schulsystem verknöchert sei. Ich würde es jetzt mal anders formulieren: Es wird den Anforderungen der heutigen und schon gar nicht der zukünftigen Gesellschaft gerecht und es stellt ihn und all die, die daran arbeiten, extrem unter Druck.
Und nun ist Druck sicher hilfreich, wenn man Wasser aus der Ohratalsperre an die Thüringer Wasserhähne befördern möchte. Für die Entwicklung von Schule, Unterricht und für die pädagogische Arbeit ist Druck weniger förderlich – im Gegenteil: Die Schulen brauchen Luft zum Atmen, Zeit und das Vertrauen, dass sie die Herausforderungen lösen werden. Wenn wir weniger Schulabbrecher wollen, müssen wir den Schulen mehr Freiraum geben, sich auf die Schüler zu konzentrieren.
Wir als Freie Demokraten sind davon überzeugt, dass selbstverantwortliche Schulen besser auf Herausforderungen reagieren können. Sie haben freie Hand bei der Wahl des Profils, des dafür notwendigen Personals und verwalten ihr eigenes
Budget.
Und jetzt werden sich viele fragen und mir auch sagen: Wie soll das denn das gehen, wie sollen die denn noch mehr Herausforderungen annehmen, in dem aktuellen System sind die ja so schön verteilt.
Ich kann Ihnen sagen, wie es nicht funktioniert: So, wie es nämlich jetzt funktioniert. Die Schulträger sind für die Gebäude zuständig, aber der Schulleiter muss beantragen, wenn das Klo saniert werden muss. Das Schulamt ist angeblich für das Schulbudget zuständig, aber der Schulleiter muss es im Detail beantragen, Ausschreibungen machen und den Verwendungsnachweis schreiben. Das Ministerium ist für die Lehrkräfte zuständig, aber der Schulleiter muss die Kandidaten besorgen, für die dann die Stelle ausgeschrieben wird. Und dabei ist der Schulleiter mit seinen Kollegen eigentlich dafür zuständig, dass Unterricht stattfindet, dass Schülerinnen und Schüler mit einem Abschluss die Schule verlassen.
Meine Damen und Herren, Schulen sind die Zentren des Bildungssystems. Sie müssen handlungsfähig sein. Und nur, wenn Schulen eine eigene Handlungsfähigkeit haben, also selbstverantwortlich sind, können sie Resilienz entwickeln, dann können sie neue Unterrichtskonzepte und Schule entwickeln und dann können sie sich auf die Schülerinnen und Schüler und deren Vorankommen konzentrieren. Und sicherlich braucht es dafür auch ein Unterstützungssystem, das muss die langfristigen Fragen stellen und vor allem unterstützen.
Viele dieser Fragen sind für alle 16 Bundesländer gleich. Deswegen ist es völlig richtig, dass auf Bundesebene im Rahmen des gerade stattfindenden Bildungsgipfels alle Kräfte aus Politik, Wissenschaft, Schule und Gesellschaft zusammengeholt werden, um eben genau den Auftakt für diesen gemeinsamen Kraftakt anzugehen. Das kann man kritisieren, so wie Bayerns Wissenschaftsminister, und auf die Eigenständigkeit der Länder beharren, dann werden wir aber nie einen Schritt weiterkommen, denn es macht keinen Sinn, 16 Lösungen für ein Problem zu finden, das die gleiche Wurzel hat.
Bündeln wir also lieber die Kräfte und stellen wir dysfunktionale Strukturen infrage, sorgen wir für Eigenverantwortung in den Schulen, mehr bundesweite Einheitlichkeit bei den Standards zu Schulabschlüssen sowie in der Lehreraus- und -weiterbildung und für tatsächlich hilfreiche Strukturen im Unterstützungssystem.
Der Schulleiter der Gemeinschaftsschule in Wenigenjena hat bei der Mündlichen Anhörung zum Schulgesetz ziemlich treffend formuliert: Bitte geben Sie uns ein Moratorium! Alles, was an Abfragen, Statistiken, Dokumentationen, Konzepten aktuellen aus dem Ministerium und Co. abgefordert wird, hält ihn davon ab, Schule zu machen, Unterricht zu entwickeln und sich um sein Personal zu kümmern. Ich schließe mich da gerne an.
Geben wir den Schulleitungen und den Pädagoginnen und Pädagogen wieder das Heft des Handelns in die Hand, dann können sie sich darum kümmern, dass weniger Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen.
Vielen Dank.